Warum DDR-Geld für Berliner Spielplätze? (10.05.2020)
Wenn Vermögen von DDR-Organisationen im Jahr 2020 für kommunale Standardaufgaben in den Berliner Bezirken eingesetzt werden, wirft das ein schlechtes Licht auf die Politik des Senats.
Warum wurde für die Sanierung der öffentlichen Kinderspielplätze Solonplatz und Klemke-Park auf diese Sondervermögen zurückgegriffen, die eigentlich für andere Zwecke eingesetzt werden sollen?
Ausgangssituation und Proteste
- Die öffentlichen Kinderspielplätze Solonplatz und Klemke-Park (Goldfischteich) wurden 2015 bzw. 2016 gesperrt bzw. geräumt.
- Aus dem Amt hieß es auf viele Anfragen von Bürgerinnen und Bügern immer nur, eine Reparatur sei „nicht absehbar“ (soweit Anfragen nicht gleich ganz ignoriert wurden oder in Kaskaden von automatischen Abwesenheitsnotizen versandeten).
- Unterstützung von Wirtschaftsunternehmen wurde abgelehnt (mit der Begründung: fehlende Kapazitäten für verwaltungstechnische Begleitung).
- 2017 berichtete die ARD-Sendung „extra3“.
- Unter anderem der Weißenseer Abgeordnete Dennis Buchner (SPD) wurde auf Facebook heftig angegriffen.
- Im Februar 2018 kam es bei einer Veranstaltung im Frei-Zeit-Haus Weißensee ein Wortgefecht mit Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linkspartei). Im April 2018 organisierte die Elterninitiative JA! Spielplatz!! einen Straßenprotest im Klemke-Park, die rbb-Abendschau berichtete.
- Großen Druck gab es aber nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern zum Beispiel auch innerhalb der SPD Weißensee.
Politische Verarbeitung
- Am 11. April 2018 befasste sich der Parteivorstand des SPD-Bezirks Weißensee in großer Besetzung einschließlich MdB Klaus Mindrup eine Stunde lang mit dem Thema.
- Der Abgeordnete Dennis Buchner hatte schon seit 2017 versucht, auf die Kritik zu reagieren. Unter anderem erreichte er eine berlinweite Aufstockung der sogenannten KSSP-Fördermittel. Der Aufwand dafür war vermutlich hoch, die Wirkung auf die Spielplätze Klemke-Park und Solonplatz aber gleich Null. Die Verwaltung des Bezirks Pankow äußerte sich vermutlich nach dem Motto: „Unser Sanierungstopf ist praktisch leer. Wenn ihr diese beiden Spielplätze für 400.000 Euro saniert haben wollt, dann müsst ihr uns 10 Mio. geben für die vielen kaputten Spielplätze, die bei uns eine viel höhere Priorität haben.“
- Von einer extra in Auftrag gegebenen Analyse der Senatsverwaltung vom 15.03.2018 (Auftraggeber_innen Dennis Buchner, Tino Schopf, Clara West) wurden die Aussagen der Bezirksverwaltung nicht widerlegt, sondern in ungewöhnlicher Klarheit bestätigt.
- Weil kurz- und mittelfristig also keine andere politische Handlungsoption greifbar war, wurde per Senats-Beschluss vom 14.08.2018 (PMO-Mittel) erstmal Geld außerhalb des Systems organisiert. Dieses Geld wurde dann im Jahr 2020 tatsächlich vom Bezirksamt für die Sanierung der beiden Spielplätze eingesetzt.
- Das eingesetzte Geld außerhalb des Systems (PMO-Mittel) stammt zu großen Teilen aus dem Sonderwirtschaftsbereich von DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski. In der DDR war es unter anderem für politische Rettungsaktionen außerhalb des normalen Wirtschaftskreislaufs gedacht. Interessanterweise hat es im Fall der Sanierung der öffentlichen Kinderspielplätze Klemke-Park, Solonplatz und Dusekestraße gewissermaßen genau den gleichen Zweck erfüllt.
Gesamtkontext der Bewirtschaftung öffentlicher Kinderspielplätze und der Erfüllung öffentlicher Aufgaben in Berlin
- Per AGH-Beschluss vom 13.12.2018 (Nachtragshaushalt) wurde letztlich auch die Menge des Geldes innerhalb des Systems für die Bewirtschaftung von Kinderspielplätzen nochmals erhöht (über den Weg KSSP-„Fördermittel“, aber nicht Haushaltsmittel der Bezirke). Diesmal immerhin deutlich auf 18 Mio. Euro (berlinweit).
- Die Geldmenge ist insgesamt aber weiterhin viel zu klein für den Bedarf. Für die Umsetzung des Wiederaufbaubeschlusses für die öffentlichen Kinderspielplätze im Bezirk Pankow vom 19.01.2019 (BVV) (ohne Rechtsverbindlichkeit) fehlen zum Beispiel dem Bezirk Pankow immernoch ca. 4 Mio. Euro jährlich + Personal. Das AGH hätte die Bewirtschaftungsmittel berlinweit nicht um 18 Mio., sondern um 60 Mio. jährlich (!) aufstocken müssen.
- [Ergänzung 22.06.2020:] Weil die Berliner Bezirksverwaltungen das KSSP-Geld nicht vollständig abrufen (sie haben nicht genügend Planer*innen und Bauleiter*innen), wird die zur Verfügung gestellte KSSP-Summe vom Senat inzwischen wieder reduziert. Dies erklärte der Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes Pankow, Andreas Johnke, in der Sitzung der Spielplatzkommission Pankow am 27.05.2020. Die Erhöhung wurde auf zweiseitigen Zeitungsanzeigen präsentiert, die Absenkung erfolgt natürlich im Stillen.
- Berlin ist pleite. Bürgerinnen und Bürger in Berlin zahlen zwar den vollen Steuersatz, erhalten aber dauerhaft nur ca. die Hälfte der in anderen Teilen Deutschlands üblichen öffentlichen Leistungen. Der rot-rot-grüne Senat setzt klare Prioritäten für Prestigeprojekte und gegen den öffentlichen Reichtum in den Kiezen (häufig bezeichnet als „Kaputtsparpolitik“).
- In den Gremien und in der Lokalpresse drehen die immer gleichen Themen Dauerschleifen.
- Viele Verwaltungsmitarbeiter_innen, Pädagog_innen usw. versuchen, mit Kreativität und persönlichem Einsatz das Bestmögliche aus den prekären Umständen an den Lebensorten der Menschen zu machen (beschönigend bezeichnet als „kreative Mangelverwaltung“). Viele sind demoralisiert, erschöpft und teils verbittert. Über die Vernachlässigung der Kieze hinaus verletzt der rot-rot-grüne Senat damit auch seine Fürsorgepflicht als Arbeitgeber.
- Weil überall ein krasser Ressourcenmangel herrscht, können die einzelnen Verwaltungsmitarbeiter*innen jederzeit nachweisen, dass für bestimmte Handlungen kein Personal und keine Ressourcen verfügbar sind. Diese Option wird von vielen Verwaltungsmitarbeitern auch immer wieder gezogen. Das bedeutet: die Bezirkspolitik wird von festangestellten Einzelpersonen aus dem Verwaltungsapparat bestimmt. Der Einfluss der gewählten Bezirksverordneten und Stadträt*innen wird immer geringer. Die demokratischen Strukturen sind auf den Kopf gestellt.
- Die meisten Politikerinnen und Politiker versuchen die Wirklichkeit nicht zu ändern, sondern zu bestreiten oder zu kaschieren. Ein machtvolles Instrument dafür ist das Berliner System der Bezirksfinanzierung, bei dem es sich um ein System zur Verschleierung von Verantwortung handelt.
- Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linkspartei) ist im Jahr 2019 aus der Routine der Verleugnung ausgeschert. Er bezifferte konkret den Gesamtwert der öffentlichen Leistungen, die Pankow im Zeitraum 2005 bis 2040 (?) nicht erbracht hat und nicht erbringen wird in der BVV sowie in der B.Z. vom 18.09.2019 und im Tagesspiegel vom 29.11.2019. Er wurde für das Aussprechen dieser Wahrheiten kritisiert: "Du hast zwar recht, aber du weißt doch, dass sich sowieso nichts ändert, also brauchen wir auch nicht darüber zu reden!"